Åstedet i Isdalen der en kvinne ble funnet død i 1970
Foto: Paul S. Amundsen / NRK

Das Rätsel von Isdalen

Eine Frau liegt tot und völlig verbrannt auf einer Geröllhalde am Stadtrand von Bergen. Sämtliche Spuren, die Hinweise auf ihre Identität geben könnten, sind entfernt worden. Was diesen Fall angeht, ist keiner jemals einen Schritt weitergekommen – bis heute.

29. November 1970. Ein zwölfjähriges Mädchen entdeckt sie. Ein Sonntagsspaziergang mit dem Vater und der jüngeren Schwester führt sie hoch hinauf auf einen Hang oberhalb des malerischen und düsteren Tals Isdalen, einige Kilometer auβerhalb der Stadt Bergen. Hier oben, ein Stück vom Weg entfernt, sind selten Leute unterwegs.

Während das Mädchen aus dem Wald kommend eine Lichtung betritt, fällt ihr Blick auf etwas, das kein Kind jemals zu Gesicht bekommen sollte.

Zwischen groβen Steinen und Geröll liegt eine Frau auf dem Rücken, tot und verbrannt.

Die zuständigen Stellen müssen alarmiert werden – allerdings hatte man 1970 noch kein Handy zur Hand. Der Weg zurück in die Stadt um den See Svartediket zieht sich sehr lang hin für den Vater und die beiden kleinen Mädchen. Ob da ein Mörder lauert zwischen den hohen Fichten, die den schmalen, steinigen Pfad säumen?

Schauriger Tatort

Tidligere politijurist Carl Halvor Aas var først på åstedet der Isdalskvinnen ble funnet drept

AM TATORT: Der Jurist und ehemalige Staatsanwalt Carl Halvor Aas war einer der Ersten am Tatort, als die Isdals-Frau tot aufgefunden wurde.

Foto: Kjetil Solhøi / NRK

– Als Erstes haben wir den Geruch wahrgenommen, erzählt Carl Halvor Aas.

Der Jurist aus Hurum ist zu dem Zeitpunkt 31 Jahre alt und diensthabender Staatsanwalt bei der Polizeidirektion der Stadt Bergen, als der Anruf wegen des Leichenfundes dort eingeht. Heute ist er der einzige noch lebende Zeitzeuge aus der Gruppe derer, die als Erste zum Tatort gerufen wurden.

– Ich erinnere mich, wie wir die Geröllhalde teils hinaufgehen und teils klettern müssen. Zwischendurch frage ich mich, wohin wir eigentlich gehen, denn das Gelände ist einfach nur steil und völlig unwegsam. Das hier ist schlieβlich bei weitem kein normaler Spazierweg.

Aas berichtet, dass die Polizeibeamten sich fragen, ob die Frau in die Flammen gestürzt war, dann ihren Körper nach hinten wegriss, und deshalb rücklings liegengeblieben ist.

– Es ist wahrhaftig kein schöner Anblick. Die Frage ist, ob jemand nachgeholfen hat, oder ob sie aus anderen Gründen Feuer gefangen hat, erklärt er.

Schon bald wimmelt es von Ermittlungsbeamten an dem gottverlassenen Tatort. Polizeibeamte mit Hunden und Metalldetektoren, Kriminaltechniker mit Pinzetten und Pinseln. Sie durchkämmen die felsige Geröllhalde, wo die Leiche in der sogenannten Fechter-Stellung liegt: die Arme vor dem Oberkörper – so wie es oft bei Körpern der Fall ist, die Verbrennungen ausgesetzt waren.

Auf der Geröllhalde, und im novembernassen hohen Gras darum herum, sammelt man die verkohlten Reste von Gegenständen auf, die die Frau bei sich hatte. Reste von Kleidung, von einem Regenschirm und von einer Art Tragetasche. Zwei geschmolzene Plastikflaschen. Eine halbe Flasche «Klosterlikør» vom staatlichen Alkoholverkauf «Vinmonopol», eine fast völlig zerstörte Plastikhülle, die von einem Reisepass stammen könnte und vieles mehr.

Isdalskvinnen fotografert på åstedet kort etter at hun ble funnet

RÄTSEL: So findet die Polizei am 29. November 1970 den Tatort bei ihrer Ankunft vor. Die Isdals-Frau liegt auf dem Rücken zwischen groβen Gesteinsbrocken in dem steilen und waldigen Gelände.

Foto: Politiet / Statsarkivet i Bergen

Wer ist sie?

Schon jetzt entdecken die Ermittler etwas sehr Ungewöhnliches:

Die Fabrikationsschildchen sind sorgfältig aus allen Teilen ihrer Kleidung herausgeschnitten worden, die nicht verbrannt sind. Sämtliche Kennzeichnungen auf ihren Gegenständen sind abgekratzt worden, sogar das Firmen-Logo unter den beiden Plastikflaschen wurde weggekratzt.

Der Tatort wurde von allem gesäubert, was die Identität der unbekannten Frau preisgeben könnte. Bis zum heutigen Tag wird sie nur unter dem anonymen Aktenzeichen «134/70» geführt – im Gades-Institut, wo sie obduziert wurde. Im Volksmund ist sie bekannt als «Isdals-Frau».

Nun gibt es jedoch neue Hoffnung, endlich Licht ins Dunkel der zahlreichen ungelösten Rätsel zu bringen, die der Fall seit über 46 Jahren mit sich bringt.

NRK hat ganz neue Spuren im Isdals-Fall entdeckt – Spuren, die seit 1970 unbeachtet aufbewahrt geworden ist, ohne je untersucht worden zu sein.

In den kommenden Zeit werden wir, in Zusammenarbeit mit dem Polizei-Distrikt Westnorwegen und der Landeszentrale der Kriminalpolizei, diese Spuren einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Diese Arbeit können Sie Schritt für Schritt verfolgen auf www.nrk.no/dokumentar

aastedsgruppe

DÜSTERER TATORT: Kriminaltechniker durchsuchen den Tatort im Tal Isdalen am Stadtrand von Bergen einen Tag, nachdem die Frau entdeckt wurde.

Foto: Politiet / Statsarkivet i Bergen

Rätsel über Rätsel

Die verwirrenden Funde am Tatort sind lediglich der Auftakt zu einem der gröβten Rätsel in der gesamten norwegischen Kriminalgeschichte. Je mehr die Polizei nachforscht, desto mehr Rätsel ergeben sich daraus.

Und wo so viel Ungewissheit herrscht, gedeihen die Spekulationen. Dass eine schöne junge Frau, die absolut keiner kennt, unter so mysteriösen Umständen zu Tode kommt, ist geradezu untragbar.

  • War sie eine Spionin – liquidiert durch die eigenen Leute oder durch unbekannte Feinde?
  • War sie Teil einer internationalen Verbrecherorganisation?
  • War sie in Isdalen, um sich das Leben zu nehmen? Und, im Falle dessen, konstruierte sie all die ungelösten Rätsel selbst?

Hilfe im Anmarsch

Schon am Tag nach dem Leichenfund muss der Bergenser Polizei klar geworden sein, dass dies kein einfacher Fall werden würde. Nun möchte man also doch die Unterstützung der Osloer Landeszentrale der Kriminalpolizei in Anspruch nehmen, die man am Tag zuvor noch abgelehnt hatte.

Leiter der Kripo-Sonderkommission ist der erfahrene Ermittler Rolf Harry Jahrmann. Er setzt sich ins Flugzeug nach Bergen, zusammen mit mehreren seiner engsten Mitarbeiter.

In der ersten Woche nach dem Fund der Leiche stellt die Polizei gründliche Nachforschungen an. Alles, was Beine hat im Polizeipräsidium, wird auf die Jagd nach Aufklärung der Identität der Toten von Isdalen angesetzt.

– Man hat enorme Ressourcen eingesetzt. Zusätzlich zur Bergenser Polizei wird die Kripo-Zentrale in Oslo und Polizei in ganz Europa eingeschaltet. Trotzdem bleibt es schwierig, irgendetwas Handfestes zu ermitteln. Die Isdals-Frau hat es geschafft zu verschwinden, ohne dass man sie identifizieren konnte. Jedenfalls bis heute, so der pensionierte Kripo-Ermittler Sigbjørn Wathne (79).

Wathne ist einer der letzten noch lebenden Ermittlungsbeamten, die 1970 dabei waren. Noch kein Jahr ist er bei der Kripo, als er nach Bergen geschickt wird, um an dem ungewöhnlichen Fall mitzuarbeiten.

– Wie einige andere Ermittler auch, habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie auf der Flucht vor irgendetwas gewesen sein muss und deshalb ihre wahre Identität nicht preisgeben wollte. Der Fall ist ein echtes Mysterium, erklärt er.

Tidligere Kripos-etterforsker Sigbjørn Wathne

DOKUMENTE VON DAMALS: Der ehemalige Kripo-Ermittler Sigbjørn Wathne studiert die 46 Jahre alten Ermittlungsakten des Isdal-Falls. Sie wurden damals zum Teil von ihm selbst verfasst.

Foto: Kjetil Solhøi / NRK

Der Durchbruch

Drei Tage nach dem Leichenfund kommt es zum ersten echten Durchbruch in dem Fall. Die Polizei findet zwei groβe Koffer in der Gepäckaufbewahrung des Hauptbahnhofes von Bergen. Vieles deutet darauf hin, dass sie der Isdals-Frau gehören.

Direkt obenauf in einem der beiden Koffer liegt eine Sonnenbrille. Auf deren Glas findet sich ein Fingerabdruck, dessen Übereinstimmung mit denen der Leiche die Polizei kurz darauf feststellen kann.

Ein eindeutiger Beweis dafür, dass man das Gepäck der Isdals-Frau gefunden hat.

Tormod Bønes, einer der ermittelnden Kripo-Beamten, erinnert sich noch heute an die freudige Begeisterung, die bei der Meldung vom Fund der Koffer im Polizeipräsidium ausbrach:

Koffertene i Isdalssaken

DURCHBRUCH: Nur drei Tage nach dem Fund der Leiche der Isdals-Frau taucht ihr Gepäck am Bahnhof auf. Die Erwartungen sind hoch, doch es stellt sich heraus, dass auch hier alle Spuren entfernt worden sind.

Foto: Politiet / Statsarkivet i Bergen

– Es bricht Jubelstimmung aus, und man fühlt sich schon ein wenig siegessicher. Viele scheinen zu glauben, dass man kurz vor der Lösung des Falls stehe, erzählt er.

Bønes erklärt, dass er als junger Kriminaltechniker ein wenig überrascht ist, wie die Koffer von den Ermittlern des Falles behandelt werden.

– Sie öffnen die Koffer und durchsuchen mit groβem Eifer deren Inhalt. Jeder möchte das entscheidende Beweisstück, das zu ihrer Identifizierung führt, als Erster finden, lächelt er bei der Erinnerung daran.

Doch die Freude legt sich schnell wieder, denn auch hier hat jemand mindestens genauso sorgfältig Spuren entfernt und Produktkennzeichnungen herausgeschnitten aus den Sachen, die die geheimnisvolle Frau in ihre Koffer gepackt hat.

– Alles war entfernt worden. Sogar bei Kamm und Bürste hat jemand die Markennamen herausgefeilt, so Bønes.

Statt Antworten zu liefern, wirft der Kofferfund lediglich noch mehr Fragen auf, denn zwischen der Kleidung finden die Ermittler mehrere Perücken und Brillen mit Fensterglas – ohne Schliff. Die Isdals-Frau verbirgt also nicht nur mit allen Mitteln ihre Identität, sondern ist sogar mit Gegenständen zur Veränderung ihres Aussehens ausgerüstet.

Entdeckung im Schuhgeschäft

Trotz aller Enttäuschung: Die Koffer enthalten zwei wichtige Spuren, die den Fall voranbringen: einen Schreibblock und einen Tragebeutel.

Kodeblokk i Isdalssaken

KODE: Dies ist der Original-Schreibblock, den die Polizei im Koffer der Isdals-Frau findet. Man brauchte mehrere Tage, um den Kode zu knacken.

Foto: Øyvind Bye Skille / NRK

NRK findet den Schreibblock in den unterirdischen Lagerräumen des Staatsarchivs in Bergen, zwischen den Ermittlungsakten der Polizei. Nur das erste Blatt ist beschrieben worden. Mit zierlicher blauer Schrift hat die Isdals-Frau Zeile um Zeile mit Buchstaben und Zahlen gefüllt. Für die Ermittler der Polizei deutet das auf die Verwendung eines Codes hin.

Sie werden ihn schlieβlich knacken – aber erst nach mehreren Tagen.

Ganz anders verhält es sich jedoch mit dem Tragebeutel – da kann die Polizei einen unmittelbaren Erfolg verbuchen. Die Tüte trägt den Schriftzug des Schuhgeschäfts «Oscar Rørtvedts Skotøiforretning» in Stavanger. Die Polizei ist rasch vor Ort in dem winzigen Geschäft in der Straβe Nygaten in der aufblühenden Erdöl-Metropole, wo man mit Rolf Rørtvedt, dem 22-jährigen Sohn des Inhabers, spricht.

Rørtvedt erinnert sich gut an die ausländische Frau, die drei Wochen zuvor im Geschäft war, um Gummistiefel zu kaufen. Nach gründlicher Überlegung kaufte sie ein Paar blauer Stiefel des Typs «Kjendis» (Promi) der Gummiwarenfabrik in der Stadt Askim – ein Modell, das 1970 die Hälfte der weiblichen Bevölkerung Norwegens trug.

Doch für die Polizei ist ausschlaggebend, dass Reste von genau solch einem Paar Stiefel bei der Leiche am Tatort in Isdalen gefunden wurden. Dies ist der erste wirkliche Durchbruch in der mittlerweile ziemlich frustrierenden Untersuchung.

Die Tüte und der Stiefelfund zeigen, dass die Frau, die Herr Rørtvedt junior im Schuhgeschäft in Stavanger bediente, identisch ist mit der Leiche von Isdalen.

Rolf Rørtvedt ekspederte Isdalskvinnen i 1970

BEGEGNETE DER ISDALS-FRAU: Rolf Rørtvedt bediente die Isdals-Frau in demselben Schuhgeschäft, in dem er noch heute arbeitet. Er konnte der Polizei die erste detaillierte Beschreibung ihres Aussehens liefern.

Foto: Kjetil Solhøi / NRK

Rørtvedt und seine Mitarbeiter können eine detaillierte Beschreibung des Aussehens der Frau liefern: mittelgroβ, langes dunkles Haar, dunkelbraune Augen, rundes Gesicht, und «etwas füllige, fast rundliche Formen und hübsche Beine».

Noch heute erinnert sich Rolf Rørtvedt gut an diese ungewöhnliche Frau.

– Sie war eine etwas anspruchsvolle Kundin, stellte viele Fragen und brauchte viel Zeit, um sich zu entscheiden. Sie sprach nicht gut Englisch, und ich erinnere mich, dass sie etwas merkwürdig roch, erzählt er.

Den seltsamen Geruch erwähnen viele der Zeugen, die die Polizei nach und nach ausfindig macht.

Rørtvedt glaubt mittlerweile zu wissen, was es damit auf sich hatte.

– Etliche Jahre später – als der Knoblauch hierzulande Einzug hielt – habe ich denselben Geruch wahrgenommen. Und da musste ich unwillkürlich an die Isdals-Frau denken – das war es, wonach sie gerochen hatte. Aber 1970 roch sonst niemand nach Knoblauch – heute dagegen alle, lacht er.

Illustrasjon av Isdalskvinnen idet hun kjøper gummistøvler i Stavanger

DURCHBRUCH: Rolf Rørtvedt verkaufte der Isdals-Frau ein Paar Gummistiefel. Als die Polizei ihn ausfindig machte, konnte er eine so gute Personenbeschreibung von der Frau geben, dass dies der Startschuss zur ersten Runde der Aufdeckung ihrer Aktivitäten war.

Foto: Gro Stefferud (illustrasjon)

«Sensationelle Aufklärung»

Nun geht es schnell voran für die Polizei. Mit der Personenbeschreibung von Rørtvedt und den anderen Mitarbeitern im Schuhgeschäft geht die Polizei in Stavanger nun von Hotel zu Hotel und befragt die Angestellten danach, ob eine Frau ähnlichen Aussehens dort übernachtet hätte.

Nur einen Steinwurf vom Schuhgeschäft entfernt, beim Hotel St. Svithun, landet die Polizei einen Volltreffer.

Das Personal an der Rezeption berichtet über eine Frau, die genau so aussah – «dunkel und mit goldenem Teint, auffällig breite Hüften ohne dick zu sein, spricht schlechtes Englisch» - und die für mehrere Tage in diesem Hotel logierte, unter dem Namen Finella Lorck und angeblich aus Belgien stammend.

Als jemand vom Reinigungspersonal des St. Svithun behauptet, die Frau aus Belgien mit einem Paar Gummistiefel desselben Typs gesehen zu haben, die die Frau einige Tage zuvor im Schuhgeschäft gekauft hatte, ist der Fall geklärt.

Die Isdals-Frau muss Finella Lorck aus Belgien sein.

Lorck muss also von Stavanger nach Bergen gereist und dort in einem Hotel abgestiegen sein, bevor ihr Leben dann in Isdalen zu Ende ging.

In den Zeitungen tauchen Berichte auf, denen zufolge die Polizei zuversichtlich ist, den Fall innerhalb kürzester Zeit aufzuklären. «Sensationelle Aufklärung schon heute?» titelt die Tageszeitung VG in riesigen Lettern auf Seite 1.

VG 3. desember 1970 - Isdalssaken

IN FETTGEDRUCKTEN LETTERN: Fünf Tage nach dem Leichenfund ist man bei der Polizei sehr optimistisch, während aufgrund einer undichten Stelle zur Tageszeitung VG und anderen Zeitungen schon durchgesickert war, man sei zuversichtlich, den Fall in kürzester Zeit aufzuklären.

Foto: Faksimile

Einmal mehr jedoch zeigt sich, dass die mysteriöse Frau ihre Spuren dafür ein wenig zu gut verwischt hat. Denn als die Polizei in Bergen die Hotelregister der Stadt überprüft, findet sich keine Finella Lorck. Irgendwo auf dem Weg von Stavanger nach Bergen ist dieser Name buchstäblich auf der Strecke geblieben.

Auf den Fall angesetzt hat die Tageszeitung VG den scharfsinnigen Kriminalreporter Knut Haavik, später profilierter Redakteur der Zeitschrift «Se og Hør». Er verfügt über ungewöhnlich gute Kontakte zur Polizei und kann sich schlieβlich sogar die Ermittlungsakten über den Fall beschaffen. Doch zu Beginn der Nachforschungen kommt auch er nicht so recht voran.

Knut Haavik var krimreporter i VG i 1970.

SKEPTISCH: Knut Haavik war Kriminalreporter bei der Zeitung VG und bekam einen ungewöhnlich guten Einblick in den Fall. Er bezweifelt, dass die Isdals-Frau Selbstmord begangen hat.

Foto: Kjetil Solhøi / NRK

– Normalerweise würde man in einem solchen Fall um die Mithilfe der Bevölkerung bitten. Doch es herrscht völliges Stillschweigen. Vom ersten Tag an wird der Fall unter Verschluss gehalten, berichtet er.

Es sollen noch etliche Tage vergehen, bis ihm der Grund dafür klar wird.

Ein überraschender Fund

Eine der wichtigsten Quellen für die Polizei sind nun die sogenannten «Fremdenkontrollformulare».

– Zu jener Zeit muss jeder Ausländer ein solches Formular an der Rezeption eines jeden norwegischen Hotels ausfüllen – mit Namen, Adresse, Passnummer und Unterschrift. Und das liefert uns natürlich etwas, womit wir arbeiten können, so Sigbjørn Wathne.

Denn sowohl der Schreibblock mit den Codes als auch die Quittungen des Hotels in Stavanger liefern der Polizei Schriftproben von der Handschrift der Frau, die als Vergleichsgrundlage dienen können.

In den darauffolgenden Tagen treffen massenhaft Ergebnisse aus den landesweiten Anfragen an die Hotels ein. Schriftexperten der Kripo analysieren die Handschriften ausländischer Frauen, die innerhalb des letzten Jahres in norwegischen Hotels logiert haben – und stoβen dabei auf eine ganze Reihe unerwarteter Ergebnisse.

Es stellt sich heraus, dass die in Isdalen tot aufgefundene Frau wochenlang von Stadt zu Stadt durch Norwegen gereist ist. Meist hat sie bei jedem Hotelwechsel auch ihre Identität gewechselt. Zu diesem Zeitpunkt deckt die Polizei auf, dass sie mindestens sieben verschiedene Pässe benutzt haben muss.

Zusätzlich zu der angeblichen Finella Lorck entdeckt man auch die folgenden falschen Identitäten:

  • Claudia Tielt
  • Vera Jarle
  • Alexia Zarna-Merchez
  • Claudia Nielsen
  • Genevieve Lancier
  • Elisabeth Leenhouwfr

Weitere Nachforschungen ergeben, dass sie auch in mehreren Pariser Hotels logiert hat, dort unter dem Namen Vera Schlosseneck.

Sowohl in Oslo als auch in Bergen, in Stavanger und in Trondheim entdeckt die Polizei Spuren, die auf die Isdals-Frau hinweisen. Im Zusammenhang mit fast all ihren Identitäten hat sie die belgische Staatsangehörigkeit angegeben.

Nach Prüfung sämtlicher Angaben meldet die belgische Polizei jedoch, dass die angegebenen Identitäten ausnahmslos gefälscht seien.

– Selbstsicher und unnahbar

Alfhild Ragnes traff Isdalskvinnen i 1970

BEGEGNETE DER ISDALS-FRAU: Alvhild Rangnes bediente 1970 als Kellnerin die Isdals-Frau im Speisesaal des Hotel Neptun in Bergen. – Sie hatte wirklich Stil – das hat mich beeindruckt, erzählt sie.

Foto: Arne Stubhaug / NRK

Einige der besten Zeugen für die Polizei sind Angestellte in den Hotels, in denen die Isdals-Frau abgestiegen ist – denn diese sind ihr nachweislich persönlich begegnet. Im Speisesaal des Hotel Neptun arbeitet die 21-jährige Alvhild Rangnes. Die junge Frau lieβ sich gehörig beeindrucken von der so offensichtlich weltgewandten, ausländischen Dame.

– Es war damals nicht sehr üblich, alleinreisende Damen im Speisesaal anzutreffen. Doch diese hier schritt aufrechten Ganges herein, suchte sich einen Tisch und war insgesamt sehr souverän im Auftreten. Diese Frau war offenbar gewohnt, allein zu reisen. Ich weiβ noch, wie ich einer Kollegin zuflüsterte, ich wünschte, auch einmal so viel Stil wie diese Dame hier zu haben, wenn ich erwachsen bin, erzählt sie.

Für Alvhild Rangnes ist die Isdals-Frau bis heute unvergesslich geblieben.

– Also bei mir hat sie einen starken Eindruck hinterlassen. Sie wirkte selbstsicher und unnahbar. Aber auf mich wirkte sie nicht, als sei sie der Typ, der in die Jogginghose springt und eine Runde durch Isdalen dreht, erklärt sie.

Die Spionenjagd beginnt

Die Polizei hat es also mit der bislang nicht zu identifizierenden Leiche einer Person zu tun, die unter äuβerst mysteriösen Umständen zu Tode kam. Man weiβ, dass sie sich einer langen Reihe falscher Identitäten bediente, sowie auch Brillen mit nicht geschliffenen Gläsern und Perücken, während sie gleichzeitig ihre Spuren mithilfe professioneller Methoden verwischte.

Gut eine Woche nach dem Leichenfund sieht sich die Bergenser Polizei zu einer Maβnahme gezwungen, die noch Jahrzehnte danach abgestritten werden wird – man setzt die Spionageabwehr des norwegischen Geheimdienstes auf den Fall an. Schon seit mehreren Tagen häufen sich die Spekulationen in der Presse, die Isdals-Frau sei eine ausländische Agentin.

– Dadurch erklärt sich auch, warum die Polizei sich erst so spät an die Öffentlichkeit gewandt hat, so Knut Haavik

Bis zum heutigen Tag ist er davon überzeugt, es handle sich bei der Isdals-Frau um irgendeine Art ausländischer Agentin.

– Sie benutzte acht verschiedene Namen auf ihren Reisen quer durch Norwegen. Folglich muss sie acht verschiedene Pässe besessen haben. Dazu kam ihre umfangreiche Reisetätigkeit, die sich auf ganz Europa erstreckte. So etwas kostet Geld. Woher sollte sie das Geld dazu gehabt haben, wenn nicht irgendwer dahinter stand?, lautet die Frage, die er in diesem Zusammenhang aufwirft.

Et av fremmedkortene som ble fylt ut av Isdalskvinnen

FALSCHE INFORMATIONEN: Hier eines der damals sogenannten Fremdenkontrollformulare, ausgefüllt von der Isdals-Frau. Sowohl der Name als auch die Adresse und die Passnummer erwiesen sich als falsche Angaben.

Foto: Politiet

Die Polizei knackt den Code

Ungefähr gleichzeitig zum Spionage-Alarm in Oslo kann die Polizei endlich den Code auf dem Schreibblock entschlüsseln, den man im Koffer der Isdals-Frau fand. Der Inhalt der verschlüsselten Notierungen erschlieβt sich lückenlos, sobald man erkennt, dass die Zahlen und Buchstaben eine Übersicht über die ausgedehnten Reisen dieser Frau durch ganz Europa darstellen.

– Es stellt sich heraus, dass es sich um eine Übersicht ihrer Bewegungsprofile handelt, einschlieβlich ihrer Reiserouten im Frühjahr und Herbst 1970 in Norwegen, was uns tatsächlich ein Stück weiter bringt, so Sigbjørn Wathne.

Da die Hotelregister-Formulare der Polizei über ihre jeweiligen Aufenthalte in Oslo, Bergen, Stavanger und Trondheim Aufschluss gaben, ist das Muster nun leicht zu erkennen: Die Notierung «N 9 N 18 S» bedeutet beispielsweise, dass sie sich vom 9. bis zum 18. November in Stavanger aufhielt.

Somit stellt die Polizei fest, dass ihre allerletzte Reise sie von Paris nach Stavanger geführt hat, von dort aus weiter nach Bergen, dann nach Trondheim, zurück nach Stavanger und zuletzt wiederum nach Bergen.

Dort endet also die Reise auf einer unwirtlichen Geröllhalde in Isdalen.

Hoffnung durch Goldkronen

Die Entschlüsselung des Codes ist ein wichtiger Durchbruch – allerdings sollte es auch der letzte bleiben. Denn sämtliche Anfragen der norwegischen Polizei an Interpol, an Kollegen in ganz Europa, in Nord-Afrika und im Nahen Osten führen zu ein und demselben Ergebnis:

Die Namen und Passnummern sind unbekannt, und niemand, auf den die Beschreibung passt, ist irgendwo in dem Raum als vermisst gemeldet.

Røntgen-bilder i Isdalssaken

WICHTIGE SPUR: Der umfangreiche Einsatz von Goldzähnen macht das Gebiss der Isdals-Frau zu einer der wichtigsten Spuren für die Polizei beim Versuch ihrer Identifizierung.

Foto: Politiet

Nun richtet sich die Hoffnung der Polizei auf die Zähne der Isdals-Frau. Ganze zehn ihrer Zähne sind mit Gold überkront, zum gröβten Teil mit sogenannten präformierten Goldkronen, also mit einer Art vorgefertigter Standard-Kronen.

Der Zahnarzt Professor Gisle Bang, der die Zähne untersucht, stellt fest, dass solche Kronen in Skandinavien nicht verwendet werden. «Die Kronen weisen eine ganz eigene Charakteristik und Ausführung auf, die unter anderem eher im Orient und in bestimmten Teilen Süd- und Mittel-Europas typisch sind», wie er in seinem Bericht schreibt.

Für jede genauere Herkunftsbestimmung sind die Zähne leider nicht von Nutzen – damit bringt einen diese Spur auch nicht sehr viel weiter.

Professor Gisle Bang beschäftigt sich über Jahre hinweg eingehend mit dieser Spur, er lässt die Zähne von zahnmedizinischen Experten überall in der Welt untersuchen und den Fall in Fachzeitschriften für Zahnmedizin vieler Länder beschreiben. Doch bis zu seinem Tod im Jahr 2011 ist er einem konkreteren Ergebnis keinen Schritt näher gekommen.

Todesursache geklärt

Die Weihnachtszeit naht heran, und die polizeilichen Ermittlungen verlieren an Tempo.

Die Obduktion ergibt, dass die Isdals-Frau in den Stunden vor ihrem Tod mehrmals groβe Mengen des Beruhigungsmittels Fenemal eingenommen hat. Viele dieser Tabletten waren zum Todeszeitpunkt noch nicht zersetzt und ins Blut aufgenommen worden, womit die Tabletten nicht als alleinige Todesursache in Frage kommen. Sie deuten jedoch auf einen möglichen Selbstmord hin.

Besonders schwer zu erklären wäre andernfalls die Frage, wie man sie hätte zwingen können, gegen ihren Willen derart groβe Mengen des beruhigende mittels einzunehmen.

Die Rechtsmediziner kommen auf ihre Art zu einem Ergebnis: «Als Todesursache wird eine Kombination aus Vergiftung mit Fenemal und Kohlenmonoxid angenommen. Die eigentlichen Brandverletzungen können eine mitwirkende Ursache gewesen sein.»

Der Chemiker Tormod Bønes von der Kripo ist bei der Obduktion anwesend und schreibt einen Bericht über die Funde am Tatort. Er ist auch derjenige, dem es gelang, eine winzige Menge Benzin aus der Erde unter der Isdals-Frau zu isolieren, so dass man die Brandursache feststellen konnte.

– Damals wie heute ist mir nicht ganz klar, was sich eigentlich an diesem Tatort abgespielt hat, und wie sich der Brandverlauf wirklich entwickelt hat. Man kann sich dessen hierbei kaum zu hundert Prozent sicher sein. Alles in allem schlieβe ich mich dem Bericht von 1970 an, obwohl da ein beträchtlicher Unsicherheitsfaktor besteht. Daher können Unfall oder Mord keinesfalls ausgeschlossen werden, wie er hier unterstreicht.

Tidligere Kripos-kjemiker Tormod Bønes studerer saken om Isdalskvinnen

NAHM AN DER OBDUKTION TEIL: Tormod Bønes war Mitglied des Kripo-Teams, das an den Ermittlungen im Isdals-Fall beteiligt war, und er war bei der Obduktion dabei. Seiner Meinung nach ist der Fall immer noch ein völliges Rätsel.

Foto: Karl Lilliendahl / NRK

– Sich selbst im Brand gesetzt

Kurz vor Weihnachten berichtet Kripo-Chef Oskar Hordnes auf einer abschlieβenden Pressekonferenz in einem verräucherten Büroraum in der Polizeidirektion von Bergen über den Stand der Ermittlungen.

Er weist darauf hin, dass der Fall nicht aufgeklärt sei, solange die Frau nicht identifiziert ist.

Einige Tage später lässt Bergens Polizeidirektor Asbjørn Bryhn seine unmissverständliche Schlussfolgerung verlautbaren:

– Selbstmord.

Bryhn ist der Meinung, die Isdals-Frau litt unter irgendeiner Form von Wahnvorstellungen – möglicherweise Verfolgungswahn.

Und als die Weihnachtszeit vorbei ist, arbeitet kaum noch ein Ermittler weiter an dem Fall.

Isdalskvinnen - tomt åsted med gjenstander

DER TATORT: Eines der wenigen Farbfotos vom Tatort, aufgenommen, nachdem die Isdals-Frau zur Obduktion abtransportiert wurde. Das blau und grün karierte Tuch, das sie trug, die geschmolzenen Plastikflaschen und die norwegische Flasche mit «Klosterlikør» sind deutlich zu erkennen.

Foto: Politiet

Damit bleiben alle grundlegenden Fragen unbeantwortet. Und so ist es bis heute geblieben – 46 Jahre später.

  • Wer war die mysteriöse Frau?
  • Was war ihre Tätigkeit in Norwegen?
  • Warum starb sie in dieser abgelegenen unwegsamen Gegend von Isdalen?

Für mehrere Polizeibeamte soll sich die Arbeit an diesem Fall fast zu einer Art Trauma entwickelt haben. Die fehlgeschlagenen Versuche zur Identifizierung der Isdals-Frau erleben sie als berufliche Niederlage, und einige von ihnen können sich nie mit dem angeblichen Selbstmord abfinden.

Auch Knut Haavik war nie Anhänger der Selbstmordtheorie.

– Persönlich bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es sich hierbei um einen Mordfall handelt. Sie benutzte verschiedene Identitäten, sie arbeitete mit Codes, sie besaβ Perücken, sie reiste von einer Stadt zur anderen und wechselte alle paar Tage das Hotel. Die Polizei selbst nennt so etwas ein «konspiratives Verhaltensmuster», erklärt er.

Katholische Bestattung

Am 5. Februar 1971 hat man den Fall praktisch aufgegeben. Es ist Zeit geworden, die Isdals-Frau zu beerdigen.

Isdalskvinnen begraves i Bergen 5. februar 1971.

ANONYM BEIGESETZT: Die Polizei veranlasst ein katholisches Begräbnis – vermutlich ein Ausdruck der Vermutung über ihre Herkunft. Der katholische Gemeindepfarrer Franz Josef Fischedick leitet die Trauerfeier.

Foto: Politiet / Statsarkivet i Bergen

Der wunderschöne Psalm «Führ mich nachhaus», begleitet von Orgel- und Geigenklängen, erklingt für die Erschienenen in der Kapelle des Friedhofs Møllendal in Bergen.

Auf den Kirchenbänken haben 16 Männer und zwei Frauen Platz genommen, allesamt arbeiten sie im Polizeipräsidium von Bergen, und keiner von ihnen weiβ, wer die Frau in dem prächtigen weiβen Sarg wirklich ist.

Der mit Blumengestecken aus Tulpen und Nelken geschmückte Sarg soll schon bald drauβen bei der Kapelle in die Erde eingelassen werden. Es wird kein Grabstein gesetzt. Keiner weiβ, welche Inschrift dieser hätte tragen sollen.

Sechs der Anwesenden erheben sich, ergreifen den Sarg und tragen ihn hinaus in den eiskalten Regen an diesem Vormittag im Februar 1971. Am Grab führt der katholische Gemeindepfarrer Franz Josef Fischedick die Beisetzung durch.

In seiner Ansprache bezieht er sich auf die fremde Frau aus Davids Psalm in der Bibel. Er führt aus, dass die zu beerdigende Frau hier auch eine Fremde sei, weshalb sich keine Angehörigen unter den Anwesenden in der Kapelle befänden.

– Vermutlich wird sie nun sogar in einem für sie fremden Land beerdigt, wagt der Gemeindepfarrer zu bemerken.

Die Polizei hat alle Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass irgendwann doch noch einmal Angehörige in Erscheinung treten sollten. Die Isdals-Frau ist in einem zersetzungsbeständigen Zinksarg begraben, so dass sie im Falle einer Klärung ihrer Herkunft in ihr Heimatland überführt werden kann.

Der Polizeifotograf macht Aufnahmen von der Trauerfeier und der Beerdigung, während ein Polizeibeamter die Aufgabe hat, einen schriftlichen Bericht über die Beisetzung zu verfassen. Fotos und Text werden in einem Ordner gesammelt und im Polizeipräsidium verwahrt, wobei ein Teil dieser Dokumente nun erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Begravelsen av Isdalskvinnen i februar 1971.

ZINKSARG: Die Isdals-Frau wird in einem Sarg beerdigt, der sich nicht zersetzt – für den Fall, dass Angehörige auftauchen sollten.

Foto: Politiet / Statsarkivet i Bergen

Mittlerweile sind 46 Jahre vergangen, aber es haben sich nie Angehörige gemeldet. Der Fall ist heute ein ebenso groβes Rätsel wie damals in 1970.

  • NRK hat neue Spuren entdeckt, die Hoffnung bringen, das das Rätsel um die Isdals-Frau endlich gelöst werden kann. Uns liegt nun ein vollständiges DNA-Profil der Toten vor, und wir führen weitere Untersuchungen durch. In der nächsten Zeit erfahren Sie die Ergebnisse auf nrk.no/dokumentar
Gåten i Isdalen – vignett

VIDEO IN ENGLISCH: Die meisten Bergenser kennen das Rätsel um die Isdals-Frau, und es gibt zahlreiche Theorien über diesen Todesfall in Norwegen. NRK hat den Fall neu aufgerollt – hier erfahren Sie mehr über den mysteriösen Fall und über die Nachforschungen der Polizei.

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